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Kreative Potentiale und Fähigkeiten können durch Kunst- und Gestaltungstherapie neu entdeckt werden. Durch gestalterisches Arbeiten, aber auch in der Betrachtung von Kunst findet sich ein visueller Zugang zum Unbewussten. In der Praxis werden kunsttherapeutische Verfahren um tiefenpsychologische Grundlagen ergänzt. Die Kunst- und Gestaltungstherapie hat sich im Klinikbereich als eigenständige Profession bewährt.

Im Bereich der Psychiatrie, Psychosomatik, in der Kinder- und Jugendtherapie und in der Geriatrie, aber auch bei Geistigbinderten hat die Kunsttherapie zu Fortschritten in der gesamten Therapiebehandlung beigetragen. Bei Einschränkungen der verbalen Kommunikationsfähigkeit und bei schweren Persönlichkeitsstörungen ist Kunsttherapie ein wertvolles Mittel, um Kommunikationsprozesse wieder zu ermöglichen. Kunst- und Gestaltungstherapie hilft bei der Ausdrucksmöglichkeit, fördert Katharsis, trägt zur Einsichtsvermittlung, Selbstaktualisierung und Ich-Stützung bzw. Ich-Stärkung bei. So werden in den aktuellen S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und in der Psychotherapie-Leitlinie Psychosoziale Therapie bei Menschen mit  schweren  psychiatrischen Erkrankungen folgende künstlerisch-therapeutische Zielstellungen benannt:

Wiedergewinnung, Erhaltung und Förderung von Gesundheit und Gesundheitsverhalten,   z. B. durch die Förderung von Ressourcen, Steigerung der Leistungsbereitschaft  durch Stärkung von Eigenmotivation, Entwickeln eigener Ziele und Verbesserung der Selbststrukturierungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie Verbesserung der Lebensqualität durch Stimulation und Zugang zu Entspannung, Achtsamkeit, Genuss- und Rekreationsfähigkeit, sowie  positivem Affekterleben.

Stabilisierung und Stärkung der Selbstregulation, z. B. durch die Wiedergewinnung des Selbst-und Realitätsbezugs, Entwicklung der modalen und integrativen Wahrnehmung, Entwicklung affektiver Kompetenzen, Stärkung des Selbstwirksamkeits- und Kontrollerlebens sowie Entwicklung von Handlungskompetenzen. Entwicklung psychosozialer Kompetenzen, z. B. durch Erweiterung der interpersonalen Kommunikation und Verbalisierungsfähigkeit durch die Verzahnung nonverbaler und verbaler Interaktion sowie Steigerung der  emotionalen Anteilnahme und  Schwingungsfähigkeit.

Dem künstlerischen Werk und dem symbolischen Bildinhalt wird damit eine eigenständige therapeutische Ressource zugewiesen, die aus sich heraus Heilkräfte aktiviert und wie ein homöopathisches Mittel Wirkkräfte entfalten kann, die einen heilenden Prozess einleiten oder auslösen können.

Nicht immer steht eine gemeinsame Sprache zur Verfügung und nicht immer findet der Patient für das Erlebte Worte. Patienten mit schweren Depressionen oder anderen Erkrankungen finden kaum die richtigen Worte und können über das Medium der Künste einen Weg des Verständnisses und der Kommunikation entdecken.

All diese Menschen haben das Bedürfnis verstanden zu werden. In einem geschützten therapeutischen Rahmen kann dies ermöglicht werden – mit oder ohne Worte.  Der äußere zur Verfügung stehende Raum wird zum kreativen Spielraum, Distanz zu schaffen, Neues zu finden und die Chance, in eine neue Handlungsweise zu gehen. Ebenso Interesse und Neugier zu wecken.

Die im ursprünglichen Sinne verstandenen selbstheilenden kreativen Kräfte werden heute mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden und finden differenziert in den Kunsttherapien ihren Platz. Der kunsttherapeutische Prozess beinhaltet Wege des Entdeckens, Gestaltens, Loslassens, Verwerfens, Annehmens, Bearbeitens und Veränderns.

Über die gestaltete Materie wird Gewohntes hinterfragt, werden Bewegungen wahrgenommen, Zusammenhänge zum zurückliegenden Prozess erkannt und Verbindungen zur augenblicklichen Situation hergestellt. Starre und feste Formen sowie Fragmentierungen drücken sich im Prozess und in der Materie aus. Es entsteht ein Weg, die alte Form zu verändern und Neues zu entdecken und zu verwirklichen.

Der kreative Prozess, der über das Malen und Gestalten im Außen stattfindet, ist Ausdruck und Spiegelbild der Innenwelt.